VERLEIHUNG 2015

Helmut Schödel, Süddeutsche Zeitung
über Eva Menasse

Eva Menasse

Meine Damen und Herren,

vor 40 Jahren stand ich zum ersten Mal vor Publikum und sollte in München im Auftrag des Goethe-Instituts vor Hörern aus dem Ausland über die neuesten Highlights deutscher Literatur sprechen.

Mein Leib- und Magenautor war damals der österreichische Suhrkamp-Autor Thomas Bernhard. Proteste des Auditoriums unterbrachen die begeisterte Rede, einige verließen sogar den Raum. Da waren Staatsgrenzen verletzt worden.

Deshalb sage ich heute gleich, und damit sind wir auf der sicheren Seite, die Bücher der KiWi Autorin Eva Menasse sind wirkliche Glücksfälle österreichischer Literatur, die allerdings weit über die Grenzen des Landes hinausreichen. Natürlich hatte ich damals auch nicht wirklich deutsche, sondern deutschsprachige Literatur im Visier, aber das macht es nicht viel besser.

Das Österreichische, eine dem Deutschen sehr verwandte Sprache, das muß man schon sagen dürfen, unterscheidet sich – was nicht nur ganze Wörterbücher bezeugen -, es wird außerdem in einer ganz anderen Gestimmtheit gesprochen oder geschrieben. Es verweist auf eine eigene Tradition und wird, man sieht das gut in Gesprächsrunden, nicht ständig von Experten geknebelt, es ist erzähltüchtig geblieben. Und es ist nicht die Sprache einer Massengesellschaft, in der die Einzelnen verschwinden, sie wird im engen Raum eines Kleinstaats gebraucht. Distanz muß erst hergestellt werden. Ein Mittel dazu ist die Ironie, und wenn man einmal ohne Schmäh auskommt, weist man extra auch darauf hin: „Schmäh ohne“.

Wien ist anders, sagt man und Österreich eben auch. Eva Menasses Literatur profitiert davon auf sehr subtile Weise. Ihr erster Roman „Vienna“ war ein Meisterwerk österreichischer Erzählkunst, die Geschichte einer jüdischen Familie erzählt über die Jahrzehnte hin. Wer es bis dahin mit einem Satz des Kabarettisten Josef Hader hielt, „wonach das Leben alles mögliche sein könnte, bloß keine Pointe“, wurde eines Besseren belehrt.

Eva Menasse ist auch als Journalistin tätig. Da spielt die Recherche eine große Rolle. Wer was schreiben will, muß was mitbringen können. So sind diese Texte sehr detailfreudig und die Details basieren auf Mitgebrachtem und genial Erfundenem. Und die Eleganz der Formulierungen dient nicht als Weichzeichner, immer wieder schlagen Sätze wie Asteroiden ein: „Als mein Großvater verbrannt wurde, war das Wetter wechselhaft.“

Das ist so sarkastisch, daß es schon wieder komisch ist. Wie sagte der österreichische Schriftsteller Wolfgang Bauer immer, selbst wenn er vom Angriff der Killertomaten sprach: „Ich nehme es als Faktum.“ Das kann sehr komisch sein und ist es auch hier.

Es ist ein gewisses Amüsement, das Eva Menasses Blick auf die conditio humana bestimmt. Und ist eine wahre Lust, mit der sie die Figuren an Krawattl packt und uns vorstellt. Schaut man mit diesen Büchern in die Gesellschaft, beginnt man die Schiefe der Ekliptik zu verstehen.

Am Anfang ist in „Vienna“ Wien ein bunter Haufen, mit Wiener Juden, einer mährischen Katholikin, Wiener Strizzis und dem christlichen Bürgertum, eine großstädtische Mischung: Aber mit dem Nationalsozialismus beginnt dann die Verfolgung, und was man von Wien in die Emigration mitnehmen kann, ist „Vienna“. Der Buchtitel verweist auf den realistischen Rest, den man von der Walzerstadt noch behalten kann, wenn es zur Sache geht.

Tante Gustl wird vom Großvater der Erzählerin nur als „altes Scheißgesicht“ bezeichnet, und der Sohn des unfreiwillig komischen Bankdirektors Dolly Königsberger ist wahrscheinlich der dümmste Kleinkriminelle der Großstadt, der seinen Quarktaschendiebstahl im Laden durch Fettflecke an der Hose in Oberschenkelhöhe selbst anzeigt. Dicke Damen observieren im Kaffeehaus zischelnd beim Würfelpoker ihre Umgebung. Wer in Wien lebt, badet bis heute in Drachenblut.

Wie heißt es bei Karl Kraus? „Haut s es, mir san in Wien.“

Wobei sich „Vienna“ fundamental von anderen Wienromanen unterscheidet, von Gerhard Roths Bemühungen oder dem strikt politischen Zugriff von Robert Schindel in „Der Kalte“ oder gar den Schwärmereien von Ernst Molden.

Hier wird nicht nur erzählt, was den Argumenten dienen kann. Und in seiner schönen Leichtigkeit, mal ganz abgesehen von der großen Literarizität erinnert das Buch an den großen London-Roman „der Buddha aus der Großstadt“ von Hanif Kureishi, bekannt auch für seine Drehbücher für Filme von Stephen Frears. Da sind wir schon in einer ganz anderen Welt und Literatur.

Aber was Eva Menasses Literatur ausmacht, ist ja nicht nur ihre Herkunft, es ist ihre Weltläufigkeit. Der Preis, um den es heute geht, ist ja auch nicht nach Doderer benannt, sondern nach Swift. Da wird international konkurriert, da flutet nicht traditionsgemäß ein unglückliches Bewußtsein Geschichten und Geschichte. Was man mit diesen Büchern in die Hand nimmt, ist wirklich ein Stück Welt. Auch „Quasikristalle“ ist ein wunderbar lebendiger Roman, der des Höhenschwindels nicht bedarf. Aber damit haben die Interpreten so ihre Probleme. Es gehe in diesem Buch um das „Vergehen der Zeit an sich“, konnte man in der ZEIT lesen, was nicht als Pointe gedacht war und fand sich schon bald im Zeitsinn-Kapitel in Thomas Manns „Zauberberg“ wieder. Vergessen wir doch nicht unsere Zeit, wenn wir schon über Zeit reden und diese Arbeiten zu bestaunen versuchen. Es ist 2015, und wenn man jemandem empfiehlt „Kauf dir unbedingt das neue Menasse Buch, ganz toll“ und der andere fragt „Worum geht’s da?“ und man sagt dann „Ganz super, um das Vergehen der Zeit an sich“ Bredoullie.

„Quasikristalle“ erzählt in 13 Kapiteln aus 13 Perspektiven das Leben einer Frau vom Schulkind bis zur Großmutter. Man erlebt sie als Studentin und als Professorengattin oder Agenturchefin, immer auf dem Weg nach oben. Und immer aus diesen wechselnden Perspektiven. Wir in den Augen der anderen. Sehen und gesehen werden. Die Macken, die sie hat, sieht sie nicht, und die sie bemerken, übersehen ihre eigenen. Ausgerechnet ihr skurriler Vermieter findet sie obskur. Und als sie eine Bekannte aus der Jugendzeit trifft, und ihr als Erfolgsfrau unter die Arme greifen will, erkennt die Jüngere in ihr nur noch eine Spießerin. Ihre Stieftochter ist überzeugt, daß sie einen Alten knutscht und ihren Mann betrügt.

Sie sind so „entzückend beschädigt“, liest man im Text, „in ihren fordernden Ungereimtheiten.“ Sie empfinden sich als Einzelfall und sind es nicht. Auch ihr Zusammenleben hat so seine Seiten. Mit wem lebt man auch schon gerne zusammen? Doch höchstens „mit den Freunden der Kinder von Bekannten oder den Bekannten der Verwandten von Freunden.“ Möglichst lose soll es sein. So haben wir wieder ein Stück Leben vor uns, wie es so läuft, von Schruns/Tschagguns bis Idaho.

Ich muß, wenn es um Ironie oder Humor geht, immer an diesen Vogel denken, der auf dem Baum sitzt und den Kater heraufkommen sieht und dann anfängt noch einmal zu quinquilieren, bevor er gefressen wird. Ich frage mich immer: Kann denn der nicht fliegen?

Wir können es nur versuchen beim Schreiben, beim Lesen im Kopf. Das geht schwer, gerade weil auch das große Leichtigkeit voraussetzt. In Eva Menasses Büchern ist sie gelungen. Sie hilft uns auf, sie hebt uns hoch, sie kann uns beflügeln.

Vielen Dank für ihre Arbeit Eva Menasse und herzlichen Glückwunsch zum Jonathan Swift Preis.